Mittwoch, 25. Juli 2007

“Blinds meine Damen, American Airlines im Anflug …”

..über die Kunst des Bluffens…

Tja, glaubt man dem Gegenüber nun, dass die beiden Asse auf seiner Hand sitzen oder nicht ? Die Wahrheitsfindung erfordert hier schon ein gewisses Maß an Risiko…

Ebenso wie bei dem mittlerweile unter Magicspielern - und nicht nur denen - sehr beliebten Texas Hold’em Poker können Bluffs und andere psychische Tricks auch bei so manchem Magic - Match über Sieg und Niederlage entscheiden.

Welche verschiedenen Möglichkeiten zu bluffen es gibt, wer geeignete Opfer und wann die richtigen Zeitpunkte sind - und vor allem wie man bluffende Gegner erwischt - versuche ich heute zu ergründen.

Bluffen ist per Definition die bewusste - riskante, aber legale - Irreführung des Gegners durch Vorspiegelung falscher Tatsachen mit Gesten oder Worten. Da die psychologische Interaktion mit dem Gegenüber aber schon auf einer viel niedrigeren Ebene beginnt starte ich an dieser Stelle mit den vielen - uns wohlbekannten - typischen Verhaltensweisen eines Gegenspielers - was man daraus lesen, und wie man sie vor allem benutzen kann.

Die “Grundnorm”

Jeder Gegenüber hat unübersehbare Verhaltensweisen, diese reichen von ständigem Gelaber über dauerndes nervöses Shuffeln der Handkarten bis hin zur eisernen Stille, die nur durch kurzes “Attack, Damage, You go” unterbrochen wird. Allerdings haben all diese Marotten gemeinsam, dass sie ein jähes Ende finden, wenn sich die Spielsituation für den jeweiligen Spieler entscheidend verändert. Dies kann bedeuten, dass der Gegenüber in der jeweiligen Situation verzweifelt feststellt, dass das sichergeglaubte Match wahrscheinlich verloren ist oder er in auswegloser Lage doch noch die rettende Bombe topdeckt.
Ein weitere Möglichkeit ist, dass der Gegenüber einen Bluff vorbereitet - denn dann lenkt er seine Konzentration auf eben diesen Bluff, auf seine Körpersprache - und alle unterbewussten Handlungen nehmen ab.
Das bedeutet für euch, dass ihr an den “Verhaltensschwankungen” eurer Gegner sehr einfach erkennen könnt, ob die Boardsituation stabil bleibt, oder ob ihr euch auf eine Veränderung durch Spielzug oder Bluff einstellen könnt.

Schwieriger wird dann schon die Unterscheidung, ob euer Gegner in der jeweiligen Situation wirklich etwas hat, oder ob er nur einen Bluff einleitet. Mit ein wenig Aufmerksamkeit lässt sich aber auch dieses Geheimnis lüften.
Achtet auf die Atmung und den Brustkorb eures Gegners, wenn ihr entscheiden wollt ob er blufft oder nicht. Hat ein Gegner die spielentscheidende Bombe/Karte auf der Hand ist seine Atmung schwer - sein Brustkorb wird sich stark bewegen (Aufregung). Blufft euer Gegenüber hingegen, wird seine Atmung komplett ruhig sein, sich sein Brustkorb nicht bewegen - eine natürliche Umstellung des Körpers, der etwas “verstecken” will.

Einige exemplarische Verhaltensweisen und Situationen, und was man daran erkennen kann seien an dieser Stelle nun aufgeführt:

Länder gruppieren

Viele Spieler haben die Angewohnheit, beim Vorbereiten eines Spielzuges die verschiedenen Möglichkeiten sich selbst dadurch zu verdeutlichen, dass sie die jeweils passenden Länder - die zum Casten der Optionen notwendig sind - von den anderen Manaquellen trennen. Sollten diese Gruppierungen während des “Denkprozesses” unterschiedliche Farben bzw. Anzahl an Ländern enthalten lässt sich auf die verschiedenen Möglichkeiten des Gegners schließen.

Länder umtappen

Insbesondere unerfahrene Spieler überlegen oft vor dem Tappen der entsprechenden Länder für eine Aktion nicht, welche Ressourcen sie im gegnerischen Turn für eventuelle spontane Abilities oder Spells benötigen könnten.
Dies veranlasst sie oft dazu - wenn ihnen der Fehler auffällt - während des Castens noch einmal das Ganze zu überdenken und einzelne Länder auszutauschen.
Daraus lassen sich Warnungen für die kommenden Züge ableiten.

Einem erfahrenen Spieler unterlaufen diese Fehler selten, dementsprechend - und vor allem wenn es ihm zuvor noch nicht “passiert” ist - deckt man einen zweitklassigen Bluff des Gegenübers einfach auf, wenn er beispielsweise “zufällig” beim Casten eines Spells vor seinem Angriff noch das ungetappte Island mit dem ungetappten Forest austauscht - um einem beispielsweise ein Thrill of the Hunt zu suggerieren.
Eine random 2/2 Kreatur könnt ihr dann meist gefahrlos mit einem 3/3er blocken - hätte der Gegner wirklich einen Trick, hätte er das Land unerwähnt ungetappt gelassen, um euch eiskalt in die Falle laufen zu lassen.

Ihr selbst könnt einem erfahrenen Gegner oft sehr wohl - durch das bewusste Tappen bzw. ungetappt lassen von Ländern eine Vielzahl von Möglichkeiten suggerieren, die ihn in seiner Entscheidungsfindung im eigenen Turn sicherlich hemmen werden.

Das Abheben

Immer wenn ein unerfahrener Spieler von seiner Library einen Spell abhebt, wird er sich mit einem kurzen Blick über dessen Wording informieren - während ein Land unbeachtet in die Hand wandert.
Ein erfahrener Spieler hingegen kennt jedes Wording seiner Spells in- und auswendig, und nimmt sie genauso schnell wie jede andere Karte in die Hand.
Einen schlechten Bluff leiten viele erfahrenere Spieler ein, wenn sie eine gehobene Karte demonstrativ 10 Sekunden lang anstarren - das ist dann in 90 % der Fälle ein Land.

Morph Kreaturen

Eine quasi nie endende Quelle für Bluffs wurde damals mit den Morphkreaturen eingeführt, wo sowohl verfügbares Mana, aggressives oder defensives Spiel bzw. das wiederholte Nachsehen für wichtige Informationen sorgen können.

Eine Morphkreatur, die furchtlos gegen Vanilla 2/2 Kreaturen in die Red Zone geschickt wird deutet auf folgende Möglichkeiten hin : a) sie ist wertlos , b) sie kann sich selbst vor 2 tödlichen Schadenspunkten retten, c) der Gegner besitzt noch einen Combattrick.
Sollte die Morphkreatur hingegen konstant zu Hause bleiben und auch nicht blocken, könnt ihr auf folgende Optionen schließen : a) die Kreatur hat einen gewissen Wert b) die nötigen Mana zum Aufmorphen sind noch nicht vorhanden c) der Gegner besitzt keine Combattricks.
Die Kombination aus diesen oder gleichwertigen Infos und den verschiedenen ungetappten Ländern des Gegners lassen eine relativ präzise Bestimmung der Morphkreatur zu.

Und genau bei diesem Punkt kann man die Überlegungen des Gegners manipulieren und Bluffs einleiten. Wenn ihr beispielsweise eine Morphkreatur eine Weile lang defensiv zurückhaltet, und nach dem Legen des 2. Islands spontan attackiert rechnet der Gegner höchstwahrscheinlich mit einem Fathom Seer.
Wenn er dann beispielsweise mit dem Durkwood Baloth blockt könnt ihr grinsend die Aquamorph Entity aufdecken.
Das oben angeführte war sicherlich nicht das spektakulärste “Morph - Bluff” Beispiel mit immenser Card - Advantage, es sollte nur auf einfache Weise verdeutlichen, wie man den Gegner manipulieren und daraus Nutzen ziehen kann.

All die bisher angeführten Beispiele waren mehr oder weniger aus gewöhnlichen Verhaltensweisen abgeleitete Manipulationsbeispiele - die den Gegner zwar in seiner Entscheidungsfindung hemmen oder beeinflussen, die aber für sich selbst nur kleine Auswirkung auf den Spielstand haben und wenig Risiko erfordern.
Bei großen Bluffs, die eine dementsprechende Wirkung auf den Spielverlauf haben sollen gibt es 3 entscheidende Kriterien, die man als bluffender Spieler beachten sollte.

1.) Das Level des Gegners

“Never bluff a Newbie” (zu deutsch: Bluffe nie gegen einen Anfänger) ist eine Pokergrundregel, die sich problemlos auf das Magicspiel übertragen lässt.
Bluffen setzt voraus, dass der Gegner die vorgetäuschte Situation auch erkennt, und dementsprechend die verfügbaren Möglichkeiten bei seinen Überlegungen berücksichtigt.

Attackiert ihr beispielsweise mit zwei 2/2 Kreaturen und 4 ungetappten Forests gegen einen 3/3er des Gegners, blockt der unerfahrene Spieler meist ohne zu zögern.
Ein erfahrener Spieler hingegen zieht Thrill of the Hunt, Stonewood Invocation, Strength in Numbers, Aether Web oder Might of old Krosa meist in Erwägung - und wird erst nach Abschätzen des unten angeführten Risikos sich für einen Block entscheiden oder nicht.

2.) Das Risiko des Gegners

Je höher das Risiko für den Gegner ist, in einer speziellen Situation Ressourcen oder gar das Spiel zu verlieren, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er auf euren Bluff hereinfällt.
Das Risiko bestimmt sich aus der Situation, den möglichen Optionen und dem Vorwissen, das der Spieler aus vergangenen Games mitbringt.

Wenn ihr mit einer 1/1 Vanilla - Kreatur gegen eine 2/2 Vanilla - Kreatur des Gegners attackiert kann der verteidigende Spieler bei einem Block nicht viel verlieren - ganz im Gegenteil - solltet ihr tatsächlich einen Trick verwenden, tauscht der Gegner gerne eine miese Kreatur dafür ein - er wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit blocken.

Wenn ihr hingegen mit einer 4/4 Kreatur gegen eine 5/5 Kreatur des Gegners attackiert ist das Risiko für ihn sehr groß, durch einen einfachen Combattrick eine der stärksten Kreaturen seines Decks zu verlieren.
Sollte er gar in vorangegangenen Games ein Thrill of the Hunt oder ähnliches bei euch gesehen haben, ist das Risiko seinen 5/5er zu verlieren noch ungemein größer - er wird den 4/4er in 90 % der Fälle nicht blocken.

3.) Die Verhältnismäßigkeit des eigenen Risikos

Solltet ihr euch dazu entschließen, euren Gegner zu bluffen, wägt immer die Verhältnismäßigkeit aus Risiko, Erfolgsaussicht und dem zu erreichenden Vorteil ab.

Beispiel 1 : Ihr spielt U/B Teachings - Control gegen einen W/G Beatdown Gegner, und habt als einzige Handkarte ein Foresee nebst 4 Ländern im Spiel. Ihr wisst euer Gegner hat als einzige Handkarte einen Mystic Enforcer - den habt ihr gerade per Venser gebounced.
An dieser Stelle go zu sagen und ein Cancel zu bluffen ist a) sehr riskant und ohne große Erfolgsaussicht, weil der Gegner trotz der Furcht vor dem Counter etwas spielen will, und ihr die Solution wahrscheinlich nächste Runde nicht topdecken werdet.
Weiters ist b) der zu erreichende Vorteil relativ gering. - Ihr zögert im Erfolgsfall etwas eine Runde hinaus, wofür ihr euch sowieso schnellstmöglich Gedanken machen müsst.
Hier ist es zu 100 % besser das Foresee zu casten und auf einen schlechten Bluff zu verzichten.

Beispiel 2 : Ihr spielt Gruul Beatdown , euer Gegner u/w Control - euer Board besteht aus Magus of the Scroll , einigen Ländern und einer Handkarte (Mountain). Euer Gegner ist auf 6 Lebenspunkten und tappt sich in seiner Runde für ein Faiths Fetters auf euren Magus aus. Nachdem er 5 Handkarten hält und die Wahrscheinlichkeit gering ist, dieses Game nochmal zu drehen überlegt ihr, in Response auf das Fetters den Magus zu aktivieren und Char zu nennen - in der Hoffnung dass er wutentbrannt seine Karten zusammenpackt.
Wäre dies ein guter Bluff ? - a) das Risiko ist gering, da dieses Spiel so oder so verloren scheint, und 2 Schadenspunkte mehr oder weniger nicht viel Einfluss hätten, b) die Erfolgsaussicht ist mäßig, aber immerhin vorhanden - schließlich handeln verlierende Gegenspieler meist unüberlegt, und c) der zu erreichende Erfolg ist riesig - ihr könnt ein verlorenes Game in einen Sieg verwandeln.
Diesen Bluff würde ich persönlich immer wagen - die Verhältnismäßigkeit könnte besser nicht sein.

Einfache Bluffs und doppelte Bluffs

Einfache Bluffs sind - wie oben schon extensiv erläutert - das simple Vorspiegeln falscher Tatsachen.
Beispielsweise das Attackieren mit einer unterlegenen Kreatur gegen potentielle überlegene Blocker suggeriert einen Combattrick, zwei blaue Länder neben den restlichen Manasourcen zu gruppieren soll einen Counterspell vortäuschen.
Dem Anwendungsbereich sind hier keine Grenzen gesetzt - und abhängig davon, wie viel Spielverständnis eure Gegner mitbringen könnt ihr eurer Fantasie freien Lauf lassen - solange ihr mit eurer Körpersprache eure Ideen umzusetzen vermögt.

Ähnliches gilt auch für die so genannten doppelten Bluffs, Königsdisziplin und meine persönliche Lieblingsvariante.
Doppelbluffs zielen darauf ab, euren Gegner glauben zu machen, ihr blufft - obwohl ihr tatsächlich die suggerierte Möglichkeit habt.

Beispiel: Euer Gegner spielt Teferi - Control , ihr selbst spielt wieder einmal Gruul. Er überlegt, ob er am Ende eures Zuges einen Teferi ins Spiel flashen soll - ihr selbst haltet als einzige Handkarte ein Char , der Gegenüber ist auf 4 Lebenspunkten.
Mit der Aussage “Tap dich aus, dann schieß ich dir ein Char ins Gesicht” bringt ihr euren Kontrahenten ins Grübeln - der dann im festen Glauben, ihr hättet nichts - denn wer wäre schon so dämlich und verrät seinen Trick - sich austappt um Teferi zu spielen und “in response” verliert.

Auch hier sind wieder den Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt und bieten für experimentierfreudige Gemüter ausreichend Bluff-Material.

Abschließend bleibt zu sagen, dass alle beschriebenen Möglichkeiten sehr situationsabhängig sind, und von vielen Faktoren beeinflusst werden. Ich persönlich würde all denjenigen empfehlen, die die Kunst des Bluffens verstehen und erlernen wollen, bei kleineren Turnieren einmal ihre Grenzen und Glaubwürdigkeit auszutesten, und sich Schritt für Schritt an größere Aufgaben heranzuwagen.

Beim Entdecken von bluffenden Gegnern sind die in diesem Artikel angesprochenen Methoden sicherlich hilfreich, eine Garantie auf 100 %ige Trefferwahrscheinlichkeit kann aber kein Autor der Welt versprechen - vertraut in schwierigen Situationen auf euer Bauchgefühl - das lässt sich nämlich meist nicht übertölpeln.

Ich würde mich freuen, von der Leserschaft in den Comments von ihren gelungenen oder gar geplatzten Bluffs zu lesen - vielleicht ist ja die eine oder andere Idee dabei, die man selbst auch mal ausprobieren könnte.

Hoffentlich konnte ich ein paar Einblicke in eine sehr umfangreiche Materie bieten, nächste Woche werde ich mich wieder auf Altbewährtes - das Draften - stürzen, und in naher Zukunft beschäftige ich mich mit dem derzeitigen Block-Constructed Format.

Schöne Ferien, Phips

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